Der Lector – Entertainer der Galeras

Eine Zigarrenmanufaktur besteht aus verschiedenen Abteilungen. Die Galera ist das Herzstück einer solchen Manufaktur. Darunter versteht man einen großen Arbeitsraum, in dem bis zu 200 Arbeiterinnen und Arbeiter ihrer jeweiligen Tätigkeit im Zigarrenherstellungsprozess nachgehen. Die sogenannten Torcedores sind dafür zuständig, die von handgefertigten Zigarren zu rollen. Traditionell werden sie dabei von dem Lector (zu Deutsch: Vorleser) unterhalten.

Die Tradition des Lectors

Der Lector ist dazu gedacht, bei den Torcedores während der Arbeit für Abwechslung zu sorgen. Das Wort Lector stammt ursprünglich aus dem Lateinischen und heißt so viel wie der, der liest. Dabei ist in der Wortbedeutung irrelevant, ob laut oder leise gelesen wird. Der Lector in den Zigarrenmanufakturen liest natürlich laut. Die Tradition der Lectores hat ihren Ursprung auf Kuba. Eingeführt wurde diese Tradition durch Jaime Partagás Ravelo. Dieser war der Begründer einer der ältesten und bekanntesten Zigarrenmarken Kubas.

Das Vorlesen verschiedener Geschichten dient der Unterhaltung der TorcedoresGelesen wurde seit jeher alles: von regionalen und nationalen Zeitungen über Romane und Kurzgeschichten, Theaterstücke, Dramen und Gedichte bis hin zu Sportergebnissen. Die meisten davon wurden ob der Herkunft der Torcedores und der Lectores in Spanisch vorgetragen. Beliebt waren vor allem bekannte Werke wie Don Quijote, Les Miserables, Der Graf von Monte Christo oder auch Romeo und Julia. Einige dieser Werke lieferten sogar die Inspiration zu heutigen Zigarrenmarken, wie zum Beispiel die Montecristo oder Romeo y Julieta. Manchmal hatten die Torcedores die Möglichkeit zu wählen, welches Werk am jeweiligen Tag gelesen werden sollte. Während des Lesens saß der Lector traditionell auf einer Plattform, die an eine Rednerbühne erinnerte und dementsprechend Tribuna genannt wurde. Besonders populär war die Tradition des Lectors zu Beginn des 20. Jahrhunderts und überdauerte bis in die 1930er Jahre. Meistens waren die Lectores männlichen Geschlechts, doch einige wenige weibliche Vertreterinnen gab es auch zu verzeichnen. Im Gegensatz zu dem oft eher geringen Bildungsstand der Torcedores, waren die Lectores meist gebildete Männer, die nicht nur Spanisch, sondern auch Englisch und oft auch Italienisch oder andere Sprachen beherrschten.

Bei Stücken etwa musste der Lector zum Teil sogar schauspielerisches Talent beweisen, indem er den verschiedenen Charakteren unterschiedliche Stimmen verlieh, um seinen Vortrag für die Torcedores interessanter und auch verständlicher zu machen. Zudem war es natürlich wichtig, dass der Lector es beherrschte, mit seiner Stimme die ganze Galera zu erreichen. Bezahlt wurde er von den Torcedores, die seine Arbeit, während sie die ihre verrichteten, sehr schätzten.

Die Bedeutung der Lectores

Die Lectores dienten den Torcedores nicht nur zu Entertainment-Zwecken. Wie bereits erwähnt, waren die Torcedores zumeist eher ungebildet, viele von ihnen waren Analphabeten, die weder lesen noch schreiben konnten. Dadurch, dass sie Weltliteratur vorgelesen bekamen, ebenso wie das Tagesgeschehen, konnten sie sich jedoch bilden – in literarischer wie politischer Hinsicht ebenso wie im aktuellen Weltgeschehen. Vor allem aber konnten sie sich bezüglich ihres Arbeits- und Fabriklebens weiterbilden.

Hinzu kam, dass zu Zeiten der Cuba Libre Bewegung einige der Lectores sogar ihre eigenen populistischen Schriften schrieben und diese auch vortrugen. So klärten sie zeitgleich die Torcedores über deren Recht auf. Und auch wenn diese Schriften die Torcedores in den Manufakturen zum Teil spalteten, war es dennoch ein Schritt in die geistige Unabhängigkeit.

Mit der Erfindung des Radios verlor die Rolle des Lectors in den Manufakturen natürlich an Bedeutung. Auf Kuba wird die Tradition des Lectors dennoch auch heute noch fortgeführt.

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